Finanz- und Immobilienkongress 2022: Der Rückblick
Der Schweizer Finanz- und Immobilienkongress ist nach einer kurzen Corona-bedingten Odyssee nun wieder an seinen angestammten Austragungsort im wunderschönen Bellevue Hotel in Bern zurückgekehrt. Hier scheint die Zeit in edler Gemütlichkeit stehenzubleiben. Nur der grosse Konzertflügel hat seinen Standort gewechselt. Hier durften die Gäste des IAZI-Kongresses aufs Neue das 5-Sterne-Ambiente in vollen Zügen geniessen.
Die politische und wirtschaftliche Aktualität bestimmt mehr denn je das Programm und die Themenwahl dieses Stelldicheins der Immobilienbranche. Jetzt, wo der Winter die Nächte kürzer und frostiger macht, wächst die Solidarität mit der kriegsgeplagten, ukrainischen Bevölkerung. Ein grosser Teil der dortigen Infrastruktur ist verwüstet. Für viele Menschen wird das Jahresende kein Grund zum Feiern bieten. Aus diesem Anlass hält Rüdiger von Fritsch das Eröffnungs-Keynote gefolgt von einer Videobotschaft des Parlamentariers Nik Gugger, seines Zeichens als Co-Chairman der parlamentarischen Gruppe Schweiz – Ukraine.
2014 kam Rüdiger von Fritsch als Botschafter nach Moskau, in einem für die russisch-europäischen Beziehungen höchst tragischen Jahr. Damals traten die verborgenen Absichten des Kremls, der von einem Wiederaufstieg zur Grossmacht träumte, deutlich zutage. Die Krim-Offensive sollte einen Vorgeschmack liefern für den Überfall auf die Ukraine. Vor diesem Hintergrund erläutert Rüdiger von Fritsch den Zuhörerinnen und Zuhörern die politischen Hintergründe des aktuellen Konflikts auf eine transparente Weise. Gleichzeitig möchte er in seinem Referat den Optimismus teilen, dass aus diesem unerwarteten Konflikt ein geordneter Konflikt werden möge.
Der Konflikt in der Ukraine hat der globalen Wirtschaft ebenso deutlich gemacht, welche Hürden noch vor uns sind, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Prof. em. Dr. Anton Gunziger hat mit seinem 2015 erschienenen Buch „Kraftwerk Schweiz: Plädoyer für eine Energiewende mit Zukunft“ einen Bestseller lanciert. In seinem spannenden Vortrag skizziert der emeritierte ETH-Professor und Firmengründer Antworten auf die Fragen, die jedem Bürger derzeit unter der Nägel brennen. Nämlich: Wie heizen wir in der Zukunft? Wie viel Strom werden wir benötigen und aus welcher Quelle wird dieser Strom geschöpft werden? Anton Gunzigers Vision ist mutig und ermutigend: Die Welt in etwa 15 Jahren wird nur noch mit erneuerbaren Energien funktionieren. Das wird nach seiner Auffassung wirtschaftlich und politisch alles auf den Kopf stellen, was wir bis anhin tun und wissen.
Der nächste Referent bedarf keiner speziellen Vorstellung. Hans Egloff ist als Politiker und Präsident des HEV Schweiz ein sehr bekannter Vertreter der Immobilienbranche. In seinem Referat beleuchtet er verschiedene politische Aspekte des Immobilienmarktes. Egloff verweist auch auf die Wichtigkeit des Monitorings von politischen Geschäften, die für die Marktteilnehmer von besonderem Interesse sind.
Anastassios Frangulidis ist in der Finanzbranche eine bekannte Stimme. Seit Oktober 2016 ist Frangulidis Chefstratege bei Pictet. Davor war er lange Zeit Chefstratege bei der Zürcher Kantonalbank. In seinem Referat beleuchtet der prominente Banker nochmals die technischen Aspekte der Inflation. Ausgelöst wurde die Inflation durch die Lieferschwierigkeiten während und nach der Corona-Pandemie und durch die vom Ukraine-Konflikt ausgelöste Energiekrise. Die Notenbanken versuchen, die Inflation durch die Erhöhung von Leitzinsen in den Griff zu kriegen, doch diese Massnahme ruft auch Kritiker auf den Plan. Frangulidis‘ Fazit: Inflation kann bekämpft werden, aber ohne Schmerzen wird es nicht gehen.
Was sind Walliser Werte? Das Matterhorn? Das autofreie Zermatt? Oder der ehemalige FIFA-Präsident Sepp Blatter? Leicht verfällt man den Klischees, wenn vom Wallis die Rede ist. Schon alleine der urchige Dialekt gilt als Markenzeichen. In seinem kurzweiligen Referat bricht Oliver Schnyder, CEO der Walliser Kantonalbank, mit herkömmlichen Vorurteilen. Stattdessen propagiert er ein Wallis der Innovation. Was sich zeigt beim Bau des Nant de Drance, einem riesigen Kraftwerk, das inmitten der Walliser Alpen Gestalt annimmt. Wer sich mit der Geschichte und Entwicklung des Wallis auseinandersetzt, stösst auf viele weitere Aspekte einer multikulturellen Region, die sich ihrer Tradition bewusst ist, aber gleichzeitig offen bleibt für Innovation und Fortschritt.
Martin Tschirren ist seit März 2020 Direktor des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO). Als solcher befasst er sich nicht nur mit den technischen Aspekten der Wohnbauentwicklung oder der Leerwohnungsziffer. Wenn zugewanderte Menschen neuen Wohnraum suchen, wenn die Bauwirtschaft in der Vergangenheit zu viel in der Peripherie und zu wenig in und im Umkreis der Grossstädte gebaut hat, treten die sozialen Aspekte beim Wohnungsbau deutlich hervor. Steht uns – wie Tschirren anfangs fragt – eine Zeitenwende bzw. eine Wohnungsnot bevor? Zwar ist die Situation nicht leicht und von vielen Faktoren abhängig. Für Tschirren lohnt sich deshalb auch der Blick auf andere europäische Staaten wie z. B. die Niederlande. Es täte der Schweiz gut, wie die nördlichen Nachbarn eine nationale Wohnbauagenda zu definieren, um Aspekte wie „Bezahlbare Wohnungen“, „Wohnen und Pflege für Ältere“ oder „Lebensqualität und Sicherheit“ anzugehen.
Dieser Themenkomplex befeuert nach einer kurzen Pause auch die Podiumsdiskussion. Was ist überhaupt eine bezahlbare Wohnung und wie lässt sich in einem teilweise intransparenten regulatorischen Dickicht bezahlbarer Wohnraum überhaupt realisieren? Die Podiumsteilnehmer (Daniel Kusio, Geschäftsführer Impact Immobilien AG; Dr. Daniel Brüllmann, Head of Real Estate (DACH) bei UBS Fund Management; Martin Tschirren; Markus Mettler, CEO der Halter AG; Michael Schiltknecht, CEO der Steiner AG und Peter Schmid, Vizepräsident von Wohnbaugenossenschaften Schweiz) vermögen dank der breiten Zusammensetzung des Panels durchaus mit engagierten, neuen Ansätzen eine Diskussion zu beleben, bei der die Gräben oft tief und unüberbrückbar scheinen zwischen politischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität.
Der nächste Referent, Prof. Dr. Maximilian von Ehrlich, untersucht als Wissenschaftler den Einfluss des Staates auf den Immobilienmarkt. Tatsächlich ist die regulatorische Dichte im Immobiliensektor sehr ausgeprägt. Was die Entwicklung von Preisen und Mieten anbelangt, wird immer wieder die Forderung laut, der Staat müsse hier direkter in das Preisgefüge zugunsten von Bürgern eingreifen. Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten schon recht vielfältig. Die Raumplanung beispielsweise wirkt sich sehr stark auf das Angebot aus, denn wenn eine Gemeinde nicht über genügend Bodenreserven verfügt, hat die Immobilienwirtschaft weniger Parzellen zum Bebauen, um die Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum abzudecken.
Wie bei früheren Kongressen, beschliesst Prof. Dr. Donato Scognamiglio mit einer Gesamtschau über den Schweizer Immobilienmarkt – mit neusten Fakten und Zahlen – das interessante, vielseitige Programm. Siehe dazu: Zinswende erhöht Korrekturgefahren bei Immobilienpreisen (Medienmitteilung vom 10. November 2022).